Vergabepraxis & -recht.
Volltexturteile nach Sachgebieten
10873 Entscheidungen insgesamt
Online seit 2020
VPRRS 2020, 0011OLG Naumburg, Beschluss vom 18.10.2019 - 7 Verg 4/19
1. Im Antragsverfahren nach § 169 Abs. 2 Satz 5 GWB hat der Vergabesenat die nach den Maßstäben der § 169 Abs. 2 Satz 1 bis 4 GWB vorzunehmende Abwägung in eigener Abwägung vorzunehmen und ist nicht etwa darauf beschränkt, die Entscheidung der Vergabekammer auf Ermessensnicht- oder -fehlgebrauch zu überprüfen.*)
2. Zwar ist eine positive Kenntnis vom Vergabeverstoß i.S.v. § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB schon dann anzunehmen, wenn sich ein redlich Denkender in der Lage des Antragstellers der Überzeugung vom Vorliegen eines Vergaberechtsverstoßes nicht verschließen würde. Erlangt der Antragsteller schon die Kenntnis von den maßgeblichen tatsächlichen Umständen nicht, so ist für die Anwendung dieser Grundsätze kein Raum. Eine versäumte Regelung der unternehmensinternen unverzüglichen Informationsweiterleitung zum fachkundigen Mitarbeiter oder dessen Vertreter liegt im Bereich der fahrlässigen Verhinderung der Kenntniserlangung, bei der zwar Erkennbarkeit, aber nicht positive Kenntnis gegeben ist.*)
3. Ein Angebot ist nach § 16 EU Nr. 2 i.V.m. § 13 EU Nr. 5 VOB/A 2019 auszuschließen, wenn der Bieter ein Hauptangebot auf der Grundlage des Leistungsverzeichnisses mit den darin aufgeführten Mengen und Längen abgibt, obwohl er dem Systemvorschlag des Auftraggebers nicht folgt und die von ihm angebotenen Bauteile systembedingt abweichende Baulängen aufweisen.*)
VolltextVPRRS 2020, 0010
OLG Naumburg, Beschluss vom 04.10.2019 - 7 Verg 3/19
1. Was Inhalt eines Angebots ist, ist im Wege der Auslegung zu ermitteln. Übermittelt ein Bieter bei elektronischer Angebotsabgabe die zwingend auszufüllenden Formblätter der Vergabeunterlagen jeweils einmal in unausgefüllter Weise mit dem Original-Dateinamen und zugleich einmal in ausgefüllter Weise mit einem Zusatz der laufenden Nummerierung seiner Angebotsunterlagen im ansonsten identischen Dateinamen, so ist das Gesamtangebot dahin auszulegen, dass es jeweils mit den ausgefüllten Formblättern als abgegeben gilt.*)
2. Fordert der Auftraggeber eine elektronische Übermittlung der Angebote in Textform, so genügt der Bieter, welcher die auszufüllenden Formblätter in allen Textfeldern maschinenschriftlich ausfüllt, diesen Formerfordernissen auch dann, wenn die - ursprünglich für Angebote in Papierform entworfenen und weiter verwendeten - Formblätter eine Unterschriftenzeile vorsehen und der Bieter die Formulare nicht ausdruckt, unterschreibt und wieder einscannt.*)
VolltextVPRRS 2020, 0013
VK Westfalen, Beschluss vom 18.12.2019 - VK 1-34/19
Planungsleistungen sind wertmäßig zu addieren und europaweit auszuschreiben, soweit der sogenannte Schwellenwert für Dienstleistungen überschritten wird.*)
VolltextVPRRS 2020, 0012
KG, Urteil vom 28.06.2019 - 9 U 55/18
1. Ein genereller Ausschluss von Bietern aus einem Vergabeverfahren oder seine generelle Nichtbeteiligung an ebensolchen ohne Einzelfallprüfung ("Vergabesperre") wegen Annahme von Interessenkonflikten i.S.d. § 6 VgV ist durchgehend vergaberechtswidrig, und zwar nicht nur, soweit es oberschwellige Vergabeverfahren im Anwendungsbereich der §§ 97 ff. GWB betrifft, sondern auch für die Vergabeverfahren mit niedrigeren Auftragswerten.*)
2. Im unterschwelligen Bereich kann der ohne Einzelfallprüfung auf eine Vergabesperre gestützte und deswegen vergaberechtswidrige Ausschluss oder die Nichtbeteiligung Gegenstand von vertragsrechtlichen und deliktsrechtlichen Abwehransprüchen sein, die aber jeweils die Anhängigkeit eines konkreten Vergabeverfahrens voraussetzen.*)
3. Außerhalb eines anhängigen Vergabeverfahrens dagegen bestehen solche Abwehransprüche gegen die Vergabesperre nicht.*)
VolltextVPRRS 2020, 0003
VK Rheinland, Beschluss vom 22.10.2019 - VK 39/19
1. Ein Nachprüfungsantrag ist unstatthaft und damit unzulässig, wenn er sich gegen ein bei seiner Einreichung bereits beendetes Vergabeverfahren richtet.
2. Ein Feststellungsantrag auf Vorliegen einer Rechtsverletzung kann nur dann gestellt werden, wenn sich das Nachprüfungsverfahren erst nach Eingang des Nachprüfungsantrags bei der Vergabekammer erledigt hat.
VolltextVPRRS 2020, 0009
OLG Naumburg, Urteil vom 27.06.2019 - 2 U 11/18
1. Die ausdrückliche Angabe einer Bodenkontamination in den Vergabeunterlagen ist ausnahmsweise entbehrlich, wenn sich aus den gesamten Vertragsumständen klar ergibt, dass eine derartige Belastung vorliegt.*)
2. Ein 58 Seiten umfassender geotechnischer Bericht kann nicht dadurch wirksam in die Vergabeunterlagen einbezogen werden, dass in der allgemeinen Baubeschreibung ein Hinweis auf ihn und darauf erfolgt, dass Bieter die Möglichkeit einer Einsichtnahme erhalten.*)
3. Ein Bieter darf bei einem erkennbar lückenhaften Leistungsverzeichnis nicht einfach von einer ihm günstigen Preisermittlungsgrundlage ausgehen, sondern muss sich daraus ergebende Zweifelsfragen vor Abgabe seines Angebots zu klären versuchen.*)
VolltextVPRRS 2020, 0008
OLG Düsseldorf, Beschluss vom 07.08.2019 - Verg 9/19
1. Ein zulässiges In-House-Geschäft bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen durch einen öffentlichen Auftraggeber, der über eine juristische Person des privaten oder des öffentlichen Rechts keine ähnliche Kontrolle wie über seine eigenen Dienststellen ausübt, liegt vor, wenn er eine solche Kontrolle gemeinsam mit anderen öffentlichen Auftraggebern ausübt, mehr als 80 % der Tätigkeiten der juristischen Person der Ausführung von Aufgaben dienen, mit denen sie von öffentlichen Auftraggebern oder von einer anderen juristischen Person, die von diesen Auftraggebern kontrolliert wird, betraut wurde, und an der juristischen Person keine direkte private Kapitalbeteiligung besteht.
2. Eine gemeinsame Kontrolle besteht, wenn sich die beschlussfassenden Organe der juristischen Person aus Vertretern sämtlicher teilnehmenden öffentlichen Auftraggeber zusammensetzen, die öffentlichen Auftraggeber gemeinsam einen ausschlaggebenden Einfluss auf die strategischen Ziele und die wesentlichen Entscheidungen der juristischen Person ausüben können und die juristische Person keine Interessen verfolgt, die den Interessen der öffentlichen Auftraggeber zuwiderlaufen.
VolltextVPRRS 2020, 0007
OLG Düsseldorf, Beschluss vom 16.08.2019 - Verg 56/18
1. Der Grundsatz, dass der Auftragsgegenstand möglichst eindeutig und erschöpfend zu beschreiben ist, gilt bei einer funktionalen Leistungsbeschreibung nur eingeschränkt. Denn eine solche Leistungsbeschreibung kann den Auftragsgegenstand per se nicht gleichermaßen detailliert festlegen wie eine konventionelle Beschreibung.
2. Eine funktionale Leistungsbeschreibung muss (nur) hinreichend deutlich erkennen lassen, welche Anforderungen der öffentliche Auftraggeber an die verbindlich zu erreichenden Ziele stellt. Der jeweilige Anbieter hat dann die Möglichkeit, den Weg dorthin eigenständig zu beschreiten.
3. Grundlage für den Zuschlag ist eine Bewertung des öffentlichen Auftraggebers, ob und inwieweit das Angebot die vorgegebenen Zuschlagskriterien erfüllt. Auch wenn ihm bei der Bewertung und Benotung ein Beurteilungsspielraum zusteht, sind die Bewertungsentscheidungen auch daraufhin überprüfbar, ob die jeweiligen Noten im Vergleich ohne Benachteiligung des einen oder anderen Bieters plausibel vergeben wurden.
VolltextVPRRS 2020, 0005
OLG Düsseldorf, Beschluss vom 11.12.2019 - Verg 53/18
1. Ein als Lieferauftrag bezeichneter Auftrag über die Lieferung und den Aufbau eines Sterilisators mit einem Kammervolumen von neun Sterilguteinheiten für den Neubau eines Zentrums für Synthetische Lebenswissenschaften ist ein Bauauftrag.
2. Ein Nachprüfungsbegehren, das gestützt auf einen der Unwirksamkeitsgründe des § 135 Abs. 1 GWB nur auf die Feststellung der Unwirksamkeit eines Vertragsschlusses gerichtet ist, mit dem aber keine sonstigen Verstöße gegen Vergabevorschriften geltend gemacht werden und mit dem damit nicht um einen über die Unwirksamkeitsfeststellung hinausgehenden Primärrechtsschutz nachgesucht wird, ist wegen fehlender Antragsbefugnis unzulässig.
VolltextVPRRS 2020, 0031
VK Rheinland, Beschluss vom 10.09.2015 - VK VOL 15/2014
ohne amtlichen Leitsatz
VolltextVPRRS 2020, 0002
VK Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 30.07.2019 - 3 VK LSA 23/19
1. Es ist Aufgabe des öffentlichen Auftraggebers, den Beschaffungsbedarf vor Verfahrensbeginn sorgfältig zu bestimmen. Änderungen des Bauablaufs, die nicht auf unvorhersehbaren, nachträglich eintretenden Ereignissen beruhen, fallen in seine Risikosphäre.
2. Der öffentliche Auftraggeber ist nicht dazu verpflichtet, den Zuschlag zu erteilen. Hebt er die Ausschreibung auf, ohne dass ein in der Vergabeordnung genannter Aufhebungsgrund vorliegt, ist die Aufhebung zwar rechtswidrig, aber dennoch wirksam.
3. Die Aufhebung aus anderen und nicht gerechtfertigten Gründen (rechtswidrige Aufhebung) kann zum Schadensersatz verpflichten.
VolltextVPRRS 2020, 0001
VK Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 07.02.2019 - 3 VK LSA 2/19
1. Wird statt der in der Leistungsbeschreibung geforderten "Oberschiene nach unten geschlossen" vom Bieter eine "nach unten geöffnete Oberschiene" angeboten, weicht sein Angebot von der Ausschreibung ab und ist von der Wertung auszuschließen.
2. Eine zum Ausschluss führende Abweichung von den Vergabeunterlagen liegt auch dann vor, wenn das angebotene dem ausgeschriebenen System gleich- oder sogar höherwertig ist.
3. Eine abweichend zur Ausschreibung angebotene Leistung kann nur dann als Nebenangebot gewertet werden, wenn das Angebot des Bieters als Nebenangebot gekennzeichnet ist.
VolltextOnline seit 2019
VPRRS 2019, 0393VK Rheinland, Beschluss vom 26.04.2019 - VK 9/19
1. Legt der unterlegene Bieter gegen die Zuschlagsentscheidung des Auftraggebers "Widerspruch" bei der Vergabekammer ein, ist dies als Nachprüfungsantrag auszulegen.
2. Ein Nachprüfungsantrag ist offensichtlich unzulässig, wenn der Zuschlag bereits wirksam erteilt wurde. In diesem Fall hat der antragstellende Bieter die Kosten des Verfahrens einschließlich der Anwaltskosten der Gegenseite zu tragen.
VolltextVPRRS 2019, 0392
VK Rheinland, Beschluss vom 07.05.2019 - VK 12/19
1. Ein Nachprüfungsantrag ist unzulässig, wenn der Zuschlag wirksam erteilt wurde. Eine wirksame Zuschlagserteilung setzt voraus, dass der Auftraggeber den unterlegenen Bieter hinreichend über die Gründe für die Nichtberücksichtigung seines Angebots informiert hat.
2. Mit dem pauschalen Satz, dass der Bieter nicht das wirtschaftlichste Angebot abgegeben hat, erfüllt der Auftraggeber seine Informationspflicht nicht. Die Begründung muss den unterlegenen Bieter vielmehr in die Lage versetzen, seine Position im Vergabeverfahren zu erkennen und die Sinnhaftigkeit eines Nachprüfungsverfahrens zu prüfen.
3. Der Auftraggeber kann eine unzureichende Information heilen. Es genügt, wenn er dem unterlegenen Bieter auf Nachfrage - noch vor Stellung des Nachprüfungsantrags, aber nach erfolgtem Zuschlag - das Wertungsergebnis seines Angebots mitteilt.
VolltextVPRRS 2019, 0391
VK Nordbayern, Beschluss vom 07.11.2019 - RMF-SG21-3194-4-47
1. Eine Vergabestelle kann zur Beurteilung der Eignung eines Bieters die in §§ 122 GWB, § 42 ff. VgV vorgesehenen Maßnahmen ergreifen. Gemäß § 46 Abs. 3 VgV kann zur Prüfung der technischen und beruflichen Leistungsfähigkeit ausschließlich die Vorlage der dort genannten Unterlagen von den Bietern verlangt werden, unter anderem gem. § 46 Abs. 3 Nr. 1 VgV die Angabe von geeigneten Referenzen in Form einer Liste. Nicht hingegen ist es der Vergabestelle gestattet, die Vorlage von Referenzbescheinigungen, ausgestellt durch die jeweiligen Auftraggeber, zu verlangen, da derartige Unterlagen nicht im Katalog des § 46 Abs. 3 VgV genannt sind.*)
2. Die in § 63 Abs. 1 VgV geschriebenen Aufhebungsgründe schränken das Recht des Auftraggebers, ein Vergabeverfahren ohne Zuschlag zu beenden, nicht ein. Sie haben vielmehr Bedeutung für die Abgrenzung einer rechtmäßigen Aufhebung von einer zwar wirksamen, aber rechtswidrigen Beendigung des Vergabeverfahrens. Notwendige Voraussetzung für eine wirksame Aufhebung ist lediglich, dass der öffentliche Auftraggeber für seine Aufhebungsentscheidung einen sachlichen Grund hat, so dass eine Diskriminierung ausgeschlossen und seine Entscheidung nicht willkürlich ist oder bloß zum Schein erfolgt.*)
VolltextVPRRS 2019, 0390
VK Nordbayern, Beschluss vom 07.11.2019 - RMF-SG21-3194-4-48
1. Eine Vergabestelle kann zur Beurteilung der Eignung eines Bieters die in § 122 GWB, §§ 42 ff. VgV vorgesehenen Maßnahmen ergreifen. Gemäß § 46 Abs. 3 VgV kann zur Prüfung der technischen und beruflichen Leistungsfähigkeit ausschließlich die Vorlage der dort genannten Unterlagen von den Bietern verlangt werden, unter anderem gem. § 46 Abs. 3 Nr. 1 VgV die Angabe von geeigneten Referenzen in Form einer Liste. Nicht hingegen ist es der Vergabestelle gestattet, die Vorlage von Referenzbescheinigungen, ausgestellt durch die jeweiligen Auftraggeber, zu verlangen, da derartige Unterlagen nicht im Katalog des § 46 Abs. 3 VgV genannt sind.*)
2. Die in § 63 Abs. 1 VgV geschriebenen Aufhebungsgründe schränken das Recht des Auftraggebers, ein Vergabeverfahren ohne Zuschlag zu beenden, nicht ein. Sie haben vielmehr Bedeutung für die Abgrenzung einer rechtmäßigen Aufhebung von einer zwar wirksamen, aber rechtswidrigen Beendigung des Vergabeverfahrens. Notwendige Voraussetzung für eine wirksame Aufhebung ist lediglich, dass der öffentliche Auftraggeber für seine Aufhebungsentscheidung einen sachlichen Grund hat, so dass eine Diskriminierung ausgeschlossen und seine Entscheidung nicht willkürlich ist oder bloß zum Schein erfolgt.*)
VolltextVPRRS 2019, 0387
VK Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 13.08.2019 - 3 VK LSA 33/19
1. Die Regelung des § 17 Abs. 1 VOB/A 2019 ist keine, die die rechtliche Zulässigkeit einer Aufhebung beschreibt. Sie trifft lediglich Aussagen darüber, wann ein Auftraggeber eine Aufhebung kostenneutral vornehmen kann.*)
2. Die Aufhebung eines Vergabeverfahrens ist eine von den Nachprüfungsinstanzen nur eingeschränkt überprüfbare Ermessensentscheidung, nämlich, ob die Vergabestelle überhaupt ihr Ermessen ausgeübt hat (gegebenenfalls Ermessensnichtgebrauch) oder ob sie das vorgeschriebene Verfahren nicht eingehalten hat, von einem nicht zutreffenden oder unvollständig ermittelten Sachverhalt ausgegangen ist, sachwidrige Erwägungen in die Wertung mit eingeflossen sind oder der Beurteilungsmaßstab nicht zutreffend angewandt worden ist (Ermessensfehlgebrauch).*)
3. Entscheidet sich der Auftraggeber für die Aufhebung muss er entscheidungsrelevante Gründe und Erwägungen sorgfältig und vollständig dokumentieren.
VolltextVPRRS 2019, 0389
EuGH, Beschluss vom 04.06.2019 - C-425/18
1. Art. 45 Abs. 2 Unterabs. 1 lit. d der RL 2004/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31.3.2004 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung wie der des Ausgangsverfahrens in einer Auslegung entgegensteht, nach der vom Anwendungsbereich einer von einem Wirtschaftsteilnehmer "im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit" begangenen "schweren Verfehlung" einen Verstoß gegen Wettbewerbsregeln begründende Verhaltensweisen, die von der nationalen Kartellbehörde mit einer gerichtlich bestätigten Entscheidung festgestellt und geahndet worden sind, ausgeschlossen sind und es den öffentlichen Auftraggebern verwehrt ist, einen derartigen Verstoß im Hinblick auf einen etwaigen Ausschluss dieses Wirtschaftsteilnehmers von einem Verfahren zur Vergabe eines öffentlichen Auftrags eigenständig zu bewerten.
VolltextVPRRS 2019, 0388
EuGH, Urteil vom 03.10.2019 - Rs. C-285/18
1. Eine Situation, in der ein öffentlicher Auftraggeber im Rahmen eines Verfahrens, das zu einem Zeitpunkt eingeleitet wurde, als die Richtlinie 2004/18/EG noch in Kraft war und das zum Abschluss eines Vertrags nach der Aufhebung dieser Richtlinie, d. h. nach dem 18.04.2016, führte, an eine juristische Person, über die er eine Kontrolle wie über seine eigenen Dienststellen ausübt, einen öffentlichen Auftrag vergibt, fällt in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2014/24/EU, wenn der öffentliche Auftraggeber nach diesem Zeitpunkt endgültig über die Frage entschieden hat, ob er zu einem vorherigen Aufruf zum Wettbewerb für die Vergabe eines öffentlichen Auftrags verpflichtet war.*)
2. Art. 12 Abs. 1 Richtlinie 2014/24/EU ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung, mit der ein Mitgliedstaat den Abschluss von internen Aufträgen u. a. davon abhängig macht, dass die Vergabe eines öffentlichen Auftrags es nicht erlaubt, die Qualität der erbrachten Dienstleistungen, ihre Bezahlbarkeit oder ihre Kontinuität zu gewährleisten, nicht entgegensteht, solange die Wahl zu Gunsten einer besonderen Art und Weise der Dienstleistungserbringung, die in einem der Vergabe öffentlicher Aufträge vorgelagerten Stadium getroffen wurde, die Grundsätze der Gleichbehandlung, der Nichtdiskriminierung, der gegenseitigen Anerkennung, der Verhältnismäßigkeit und der Transparenz beachtet.*)
3. Art. 12 Abs. 1 Richtlinie 2014/24/EU in Verbindung mit dem Transparenzgrundsatz ist dahin auszulegen, dass die Bedingungen, von denen die Mitgliedstaaten den Abschluss interner Aufträge abhängig machen, durch spezielle und klare Bestimmungen des positiven Rechts über das öffentliche Auftragswesen zu verlautbaren sind, die insbesondere hinreichend zugänglich und in ihrer Anwendung vorhersehbar sein müssen, um jede Gefahr von Willkür zu vermeiden, was hier vom vorlegenden Gericht zu prüfen ist.*)
4. Der Abschluss eines internen Auftrags, der die Bedingungen von Art. 12 Abs. 1 a bis c Richtlinie 2014/24/EU erfüllt, ist nicht schon an sich mit dem Unionsrecht vereinbar.*)
VolltextVPRRS 2019, 0386
VK Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 28.02.2019 - 1 VK LSA 3/19
1. Eine vorzeitige Zuschlagsgestattung ist nur möglich, wenn die Auftragsvergabe so dringlich ist, dass eine Überschreitung der vorgesehenen Zuschlagsfrist die Durchführung des Auftrags unmöglich oder hinfällig macht.
2. Dabei muss der Eintritt der Beeinträchtigung nach den konkreten Umständen hinreichend wahrscheinlich sein. Die abstrakte Gefahr von Nachteilen genügt nicht.
3. Allein die fehlende Erfolgsaussicht des Nachprüfungsantrags kann noch keine Zuschlagsgestattung rechtfertigen, es muss ein besonderes Beschleunigungsinteresse hinzutreten.
VolltextVPRRS 2019, 0400
OLG Düsseldorf, Beschluss vom 20.05.2019 - Verg 60/18
Es entspricht der Billigkeit, dem Antragsteller die Kosten des Verfahrens vor der Vergabekammer sowie die zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen des Antragsgegners aufzuerlegen, wenn er bei offenem Verfahrensausgang den Nachprüfungsantrag zurücknimmt und sich dadurch in die Rolle des Unterlegenen begibt.
VolltextVPRRS 2019, 0384
VK Rheinland, Beschluss vom 19.11.2019 - VK 40/19
1. § 9 Abs. 2 VgV und § 53 Abs. 1 VgV gelten für alle Arten von Vergabeverfahren. Demgemäß müssen im Verhandlungsverfahren indikative und finale Angebote in Textform vorliegen. Dies umfasst auch Konzepte zur Auftragsdurchführung, die Gegenstand der Angebotsbewertung sind. Eine Angebotswertung allein auf der Grundlage mündlicher Ausführungen der Bieter in einem Päsentationstermin ist unzulässig. Solche Ausführungen dürfen nur ergänzend herangezogen werden.*)
2. Es verstößt gegen das Transparenzgebot, Bietern erst zu Beginn eines Präsentationstermins das Bewertungsverfahren mitzuteilen.*)
VolltextVPRRS 2019, 0383
VK Rheinland, Beschluss vom 02.12.2019 - VK 42/19
1. Der öffentliche Auftraggeber kann bei der Prüfung der Angebote keine neuen Eignungskriterien einführen.*)
2. Die Eignungskriterien dürfen ausschließlich die in § 122 Abs. 2 Satz 2 GWB genannten Kategorien betreffen.*)
VolltextVPRRS 2019, 0381
EuGH, Urteil vom 03.10.2019 - Rs. C-267/18
Art. 57 Abs. 4 g Richtlinie 2014/24/EU ist dahin auszulegen, dass die Vergabe eines Unterauftrags für einen Teil der Arbeiten im Rahmen eines früheren öffentlichen Auftrags durch einen Wirtschaftsteilnehmer, die ohne Zustimmung des öffentlichen Auftraggebers entschieden wurde und zur vorzeitigen Beendigung des Auftrags führte, im Sinne dieser Bestimmung einen erheblichen oder dauerhaften Mangel bei der Erfüllung einer wesentlichen Anforderung im Rahmen dieses Auftrags darstellt und daher den Ausschluss des Wirtschaftsteilnehmers von der Teilnahme an einem späteren Vergabeverfahren rechtfertigt, wenn der dieses spätere Vergabeverfahren organisierende öffentliche Auftraggeber, nachdem er selbst die Integrität und Zuverlässigkeit des Wirtschaftsteilnehmers, dessen vorheriger öffentlicher Auftrag vorzeitig beendet wurde, bewertet hat, der Auffassung ist, dass eine solche Unterauftragsvergabe das Vertrauensverhältnis zu diesem Wirtschaftsteilnehmer zerstört. Bevor er einen solchen Ausschluss ausspricht, muss der öffentliche Auftraggeber dem Wirtschaftsteilnehmer jedoch gemäß Art. 57 Abs. 6 in Verbindung mit dem 102. Erwägungsgrund der genannten Richtlinie die Möglichkeit geben, die Abhilfemaßnahmen zu benennen, die er infolge der vorzeitigen Beendigung des früheren öffentlichen Auftrags ergriffen hat.*)
VolltextVPRRS 2019, 0403
OLG Schleswig, Beschluss vom 30.09.2019 - 54 Verg 9/16
1. Die Entscheidung der Vergabekammer, die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts nicht für notwendig zu erklären, ist im Wege der sofortigen Beschwerde selbständig anfechtbar. Der Vergabesenat kann über die diesbezügliche sofortige Beschwerde ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung entscheiden.
2. Die Erstattungsfähigkeit der Aufwendungen des Beigeladenen für einen Rechtsanwalt hängt davon ab, ob diese von der Vergabekammer als billig erachtet wird. Dazu muss eine aktive Beteiligung am Verfahren (gerade) durch den Rechtsanwalt des Beigeladenen vorliegen.
VolltextVPRRS 2019, 0369
VK Rheinland, Beschluss vom 25.04.2019 - VK 2/19
Trägt ein Beteiligter unter Missachtung seiner Verfahrensförderungspflicht derart spät zur Sache vor, dass den anderen Verfahrensbeteiligten bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung eine Erwiderung unter zumutbaren Bedingungen nicht mehr möglich ist, bleibt das Vorbringen bei der Entscheidung unberücksichtigt. Es löst auch keine Amtsermittlungspflicht aus.
VolltextVPRRS 2019, 0379
VK Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 24.10.2019 - 1 VK LSA 04/19
1. Nach dem Urteil des EuGH vom 04.07.2019 (IBR 2019, 436) verstößt das verbindliche Preisrecht der HOAI gegen wettbewerbsrechtliche Grundsätze und findet seine Rechtfertigung auch nicht in dem Bemühen um eine hinreichende Qualitätssicherung im Bereich der Architekten- und Ingenieurleistungen. Die Feststellungen des EuGH wirken unmittelbar.
2. Von einem Bieter konnte nicht erwartet werden, die die Entscheidung des EuGH tragenden Erwägungen vorauszusehen. Dementsprechend bestand insoweit auch keine Rügeobliegenheit.
3. Auch wenn die verbindliche Vorgabe des HOAI-Preisrechts gegen europarechtliche Regelungen verstößt, hat ein Nachprüfungsantrag keinen Erfolg, wenn die daraus resultierende Möglichkeit eines Schadenseintritts aufgrund der konkreten Ausgestaltung des Bieterangebots ausgeschlossen ist.
VolltextVPRRS 2019, 0375
VK Bund, Beschluss vom 23.10.2019 - VK 1-75/19
1. Ein Vergabeverfahren ohne vorherige EU-Bekanntmachung (hier: zur Beschaffung einer Röntgenkleinwinkelstreuanlage) darf nur unter <"sehr außergewöhnlichen Umständen"> durchgeführt werden. Ein solches Verfahren ist nur dann erlaubt, "wenn es keine vernünftige Alternative oder Ersatzlösung gibt und der mangelnde Wettbewerb nicht das Ergebnis einer künstlichen Einschränkung der Auftragsvergabeparameter ist".
2. Die Anforderungen an den Umfang der von einem öffentlichen Auftraggeber in diesem Zusammenhang anzustellenden Ermittlungen bevor er ausnahmsweise auf ein wettbewerbliches Vergabeverfahren verzichten darf, sind konsequenterweise ebenfalls hoch. Erforderlich sind "ernsthafte Nachforschungen auf europäischer Ebene".
3. Diskussionen mit anderen öffentlichen Auftraggebern über deren Erfahrungen mit dem Beschaffungsgegenstand, Gespräche mit zwei von vier weltweiten Herstellern solcher Anlagen über deren Preise und Geräte sowie Internetrecherchen zu den Produkten der weiteren beiden Hersteller genügen nicht, um einen vollständigen Wettbewerbsverzicht ausreichend zu begründen.
VolltextVPRRS 2019, 0372
VK Rheinland, Beschluss vom 17.06.2019 - VK 23/19
1. Nimmt der Antragsteller den Nachprüfungsantrag zurück, hat er die Kosten (Gebühren und Auslagen) des Verfahrens vor der Vergabekammer zu tragen. Diese wird um die Hälfte ermäßigt.
2. Ist der Vergabekammer bis auf die Bekanntgabe des Nachprüfungsantrags kein Verwaltungsaufwand entstanden, sind diese Kosten erneut um die Hälfte zu reduzieren.
VolltextVPRRS 2019, 0373
EuGH, Urteil vom 18.09.2019 - Rs. C-526/17
1. Eine wesentliche Änderung eines Vertrags über eine öffentliche Baukonzession muss grundsätzlich zu einem neuen Vergabeverfahren über den so geänderten Vertrag führen.
2. Es ist das Unionsrecht anzuwenden, das zum Zeitpunkt dieser Änderung gilt.
3. Die Verlängerung der ursprünglichen Laufzeit einer Baukonzession um 18 Jahre und 2 Monate stellt eine wesentliche Änderung der Bedingungen der bestehenden Konzession dar.
VolltextVPRRS 2019, 0371
VK Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 27.08.2019 - VK 1-13/19
1. Bei der Rüge der falschen Verfahrensart (Verhandlungsverfahren statt offenem Verfahren) sind im Sinne der höchstrichterlichen Rechtsprechung an die Schadensdarlegungslast keine hohen Anforderungen zu stellen. Der Vortrag, der Schaden bestehe bereits darin, kein Angebot im offenen Verfahren abgeben zu können, ist ausreichend. Der Bieter braucht regelmäßig nicht darzulegen, welches aussichtsreichere Angebot er im offenen Verfahren abgegeben hätte.*)
2. Die Ausnahmetatbestände für die Wahl eines Verhandlungsverfahrens mit vorgeschaltetem Teilnahmewettbewerb nach § 14 Abs. 3 Nr. 1 - 3 VgV sind eng auszulegen. Sie betreffen nur besonders komplexe oder konzeptionelle/innovative Beschaffungen.*)
VolltextVPRRS 2019, 0376
VK Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 06.06.2019 - 3 VK LSA 18/19
1. Wann die Aufhebung einer Ausschreibung wegen deutlicher Überschreitung des vertretbar geschätzten Auftragswerts rechtmäßig ist, ist aufgrund einer umfassenden Interessenabwägung zu entscheiden.
2. Im Rahmen dieser Interessenabwägung ist insbesondere zu berücksichtigen, dass dem öffentlichen Auftraggeber einerseits nicht das Risiko einer deutlich überhöhten Preisbildung zugewiesen wird, die Aufhebung aber andererseits auch kein Instrument zur Korrektur des erzielten Submissionsergebnisses sein darf.
3. Liegen die eingegangenen Angebote über 42% über der sorgfältig vorgenommenen und ordnungsgemäß dokumentierten Kostenschätzung, liegt ein schwer wiegender Grund für die Aufhebung des Vergabeverfahrens vor.
VolltextVPRRS 2019, 0368
VK Rheinland, Beschluss vom 23.04.2019 - VK 6/19
1. Ein Vergabeverfahren kann aufgehoben werden, wenn kein wirtschaftliches Ergebnis erzielt wurde. Voraussetzung ist, dass der Auftraggeber eine Kostenschätzung vorgenommen hat, anhand derer er die Wirtschaftlichkeit der eingegangenen Angebote prüfen kann.
2. Die Kostenschätzung muss auf ordnungsgemäß und sorgfältig ermittelten Grundlagen beruhen. Es sind Methoden zu wählen, die ein wirklichkeitsnahes Schätzergebnis ernsthaft erwarten lassen.
3. Den geschätzten Kosten muss ein ganz beträchtlicher Aufschlag ("Puffer") hinzugefügt werden, da es sich bei der Kostenschätzung um einen Vorgang mit hohem Prognoseanteil handelt. In welcher Höhe dieser Aufschlag angesetzt wird, ist vom Einzelfall abhängig.
4. Wann ein vertretbar geschätzter Auftragswert so "deutlich" überschritten ist, dass eine sanktionslose Aufhebung der Ausschreibung gerechtfertigt ist, lässt sich nicht durch allgemein verbindliche Werte nach Höhe oder Prozentsätzen festlegen. Vielmehr ist eine Interessenabwägung vorzunehmen.
VolltextVPRRS 2019, 0367
VK Rheinland, Beschluss vom 05.06.2019 - VK 11/19
1. In Fällen, in denen weitere mögliche Vergabeverstöße erst während des Nachprüfungsverfahrens bekannt werden, ist es aus verfahrensökonomischen Gründen und im Hinblick auf den Beschleunigungsgrundsatz zulässig, diese ohne vorherige Rüge in das laufende Nachprüfungsverfahren einzubeziehen.*)
2. Bei Vergabeverstößen, die sich in der Spähre der Vergabestelle abspielen oder die das Angebot eines Mitbewerbers betreffen, ist hinsichtlich des Darlegungserfordernisses nach § 161 Abs. 2 GWB (Stichwort "Vortrag ins Blaue") ein großzügiger Maßstab anzulegen.*)
3. Ein öffentlicher Auftraggeber hat selbst zu entscheiden, welche Anforderungen er an seinen künftigen Auftragnehmer zur Gewährleistung der ordnungsgemäßen Durchführung des ausgeschriebenen Auftrags stellen will und bestimmt auch selbst, welche Eignungsbelege er verlangt.*)
4. In Fällen einer beabsichtigten Teststellung hat der Auftraggeber den Teilnehmern am Vergabeverfahren diese Absicht grundsätzlich vor Angebotserstellung bekanntzumachen.*)
5. Tatbestandsvoraussetzungen für die Ablehnung eines Angebots wegen nicht nachgewiesener Rechtmäßigkeit einer staatlichen Beihilfe ist, dass die Beihilfeleistung ursächlich für den ungewöhnlich niedrigen Angebotspreis ist.*)
VolltextVPRRS 2019, 0358
OLG Frankfurt, Beschluss vom 05.11.2019 - 11 Verg 4/19
Wenn in der bautechnischen Praxis ein Vorverständnis über den Qualitätsstandard eines Systems besteht (hier: Korrosionsbewehrung von Betonfertigteilen), dann ist dies ein wesentlicher Anhaltspunkt für die Auslegung von Leistungsanforderungen durch den verständigen, fachkundigen Bieter.*)
VolltextVPRRS 2019, 0362
VK Baden-Württemberg, Beschluss vom 12.11.2019 - 1 VK 62/19
1. Bei der Prüfung der Angebote besteht kein Doppelverwertungsverbot. Referenzen können daher sowohl bei der Eignung des Bieters als auch als Anknüpfungspunkt zur Bewertung der Qualität der Leistung berücksichtigt werden (wie VK Südbayern, Beschluss vom 02.04.2019 - Z3-3-3194-1-43-11/18, VPRRS 2019, 0122 = IBRRS 2019, 1293).
2. Das Vergabenachprüfungsverfahren ist ein subjektives Rechtsschutzverfahren, das nur die Verletzung der Rechte des Bieters, die zu einem Schaden führt, mit den Rechtsschutzmaßnahmen der Vergabekammer beseitigen soll. Tritt durch den Vergaberechtsverstoß kein Schaden ein, kann die Vergabekammer keine Maßnahmen aussprechen.
3. Die Frage, ob es für einen öffentlichen Auftraggeber notwendig war, einen Rechtsanwalt zuzuziehen, ist auf der Grundlage einer differenzierenden Betrachtung nach den Umständen des Einzelfalls aufgrund einer ex-ante-Prognose zu entscheiden. Maßgeblich ist, ob ein verständiger Auftraggeber unter Beachtung seiner Pflicht, die Kosten so gering wie möglich zu halten, die Beauftragung eines Bevollmächtigten für notwendig erachten durfte.
VolltextVPRRS 2019, 0365
OLG Celle, Urteil vom 26.11.2019 - 13 U 127/18
1. Für eine Berücksichtigung von Störungen der Geschäftsgrundlage gem. § 313 BGB ist grundsätzlich insoweit kein Raum, als es sich dabei um Erwartungen und Umstände handelt, die nach den vertraglichen Vereinbarungen in den Risikobereich einer der Parteien fallen sollten. Eine solche vertragliche Risikoverteilung bzw. Risikoübernahme - sei es ausdrücklich, konkludent oder aufgrund ergänzender Vertragsauslegung - schließt für den Betroffenen regelmäßig die Möglichkeit aus, sich bei Verwirklichung des Risikos auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage zu berufen (BGH, Urteil vom 21.09.2005 - XII ZR 66/03, IBRRS 2006, 0721).*)
2. Der Konzessionsnehmer kann daher nicht die Vertragsanpassung bei Rückgang des mautpflichtigen Verkehrs auf dem von ihm ausgebauten und betriebenen Autobahnteilstück verlangen, wenn er im Konzessionsvertrag das "Verkehrsmengenrisiko" in dem Umfang übernommen hat, wie es sich nach Vertragsschluss verwirklicht hat.*)
VolltextVPRRS 2019, 0363
VK Bund, Beschluss vom 13.11.2019 - VK 2-82/19
1. Der Bieter hat einen Anspruch auf eine sog. zweite Chance, wenn der Auftraggeber das Vergabeverfahren nicht durch einen Zuschlag beenden kann, weil alle Angebote an gleichwertigen Mängeln leiden, die auf der Rechtsfolgenseite zu derselben rechtlichen Konsequenz führen. In diesem Fall ist das Vergabeverfahren in das entsprechende Stadium vor Angebotsabgabe zurückzuversetzen.
2. Ein Anspruch auf eine sog. zweite Chance besteht auch dann, wenn der Bieter kein Angebot abgegeben hat, weil die Ausschreibung an einem grundlegenden Mangel leidet, der auch die abgegebenen Angebote infiziert.
3. Die Korrektur eines Fehlers in den Vergabeunterlagen ist gegenüber allen Bietern bekanntzumachen. Erfolgt dies kurz vor Ablauf der Angebotsfrist, ist diese angemessen zu verlängern.
VPRRS 2019, 0349
OLG Dresden, Beschluss vom 02.07.2019 - 16 U 975/19
1. Der öffentliche Auftraggeber verstößt gegen seine Pflicht zur Rücksichtnahme, wenn er einen offensichtlichen Kalkulationsfehler des Bieters erkennt und trotz der Unzumutbarkeit der Durchführung des Auftrags den Zuschlag auf dessen Angebot erteilt.
2. Bei einem Preisabstand von 24 % zum Angebot des nächstplatzierten Bieters ist der Kalkulationsirrtum für den Auftraggeber erkennbar.
3. Die Verpflichtung, aus Rücksicht auf die Interessen des Bieters von der Zuschlagserteilung abzusehen, greift nicht erst ein, wenn dessen wirtschaftliche Existenz auf dem Spiel steht. Vielmehr bedarf es einer alle erheblichen Umstände des Einzelfalls berücksichtigenden Bewertung.
4. Der Auftraggeber kann vom Bieter keinen Schadensersatz wegen Nichterfüllung verlangen, wenn dem Bieter die Durchführung des Vertrags aufgrund eines Kalkulationsfehlers unzumutbar ist und er deshalb die Ausführung der Leistung verweigert.
VolltextVPRRS 2019, 0364
EuGH, Urteil vom 26.09.2019 - Rs. C-63/18
Eine nationale Vorschrift, die den Teil des Auftrags, den der Bieter als Unterauftrag an Dritte vergeben darf, auf 30% beschränkt, verstößt gegen Europarecht.
VolltextVPRRS 2019, 0361
OLG Schleswig, Beschluss vom 26.09.2019 - 54 Verg 4/19
1. Die Bezeichnung eines Beteiligten ist als Teil einer Prozesshandlung grundsätzlich der Auslegung zugänglich. Für die Frage, gegen wen sich ein Vergabenachprüfungsverfahren richtet, kommt es auf den objektiv deutbaren Inhalt der Bezeichnung aus der Sicht der Empfänger – Vergabekammer und Antragsgegner - an.
2. Das Vergabenachprüfungsverfahren gegen den in Wahrheit gemeinten Antragsgegner darf nicht an dessen fehlerhafter Bezeichnung scheitern, wenn diese Mängel in Anbetracht der jeweiligen Umstände letztlich keine vernünftigen Zweifel an dem wirklich Gewollten aufkommen lassen.
3. Bei der Inanspruchnahme einer für die Vergabekammer offensichtlich im fremden Namen handelnden Vergabestelle als Antragsgegner eines Nachprüfungsverfahrens ist eine Rubrumsberichtigung auf den von der Vergabestelle vertretenen Auftraggeber jedenfalls dann vorzunehmen, wenn die Vergabestelle die Interessen des Auftraggebers in dem Nachprüfungsverfahren auch in der Sache vertreten hat.
VolltextVPRRS 2019, 0360
OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 07.10.2019 - 15 B 856/19
1. Notwendige Voraussetzung für die wirksame Aufhebung eines Vergabeverfahrens ist, dass der öffentliche Auftraggeber für seine Aufhebungsentscheidung einen sachlichen Grund hat, so dass eine Diskriminierung einzelner Bieter ausgeschlossen und seine Entscheidung nicht willkürlich ist oder bloß zum Schein erfolgt.*)
2. Ein öffentlicher Auftraggeber kann grundsätzlich nicht verpflichtet werden, einen Auftrag auf der Grundlage einer Ausschreibung zu erteilen, die er als fehlerhaft erkannt hat.*)
3. Die Beendigung eines Vergabeverfahrens, das durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnet, ist jedenfalls dann sachgerecht, wenn das zugehörige vorläufige Rechtsschutzverfahren rechtskräftig zuungunsten der öffentlichen Hand abgeschlossen wurde.*)
VolltextVPRRS 2019, 0359
OLG Celle, Urteil vom 20.11.2019 - 14 U 191/13
1. Bei der Auslegung der Baubeschreibung und der Prüfung der Frage, ob eine mangelhafte Ausschreibung vorliegt, sind in erster Linie der Wortlaut, sodann die besonderen Umstände des Einzelfalles, die Verkehrssitte und die Grundsätze von Treu und Glauben heranzuziehen. Die Auslegung hat dabei gemäß §§ 133, 157 BGB nach dem objektiven Empfängerhorizont der potentiellen Bieter oder Auftragnehmer zu erfolgen.*)
2. Eine Pflicht des Bieters im Ausschreibungs- und Angebotsstadium, auf im Leistungsverzeichnis enthaltene Fehler hinzuweisen, besteht grundsätzlich nicht. Allerdings folgt aus dem Grundsatz des Gebots zu korrektem Verhalten bei Vertragsverhandlungen dann eine Prüfungs- und Hinweispflicht des Auftragnehmers, wenn die Verdingungsunterlagen offensichtlich falsch sind (OLG Celle, IBR 2017, 300).*)
3. Trotz der Pflicht des Auftraggebers aus § 7 Abs. 1 Nr. 1 VOB/A 2009, die Leistung eindeutig und erschöpfend zu beschreiben, darf der Auftragnehmer also ein erkennbar (oder erkanntes) lücken- oder fehlerhaftes Leistungsverzeichnis nicht einfach hinnehmen; er muss sich daraus ergebende Zweifelsfragen vor Abgabe seines Angebots klären und sich insbesondere ausreichende Erkenntnisse über die vorgesehene Bauweise (Art und Umfang) verschaffen.*)
4. Unterlässt der Auftragnehmer in einem solchen Fall den gebotenen Hinweis und legt seiner Kalkulation gewissermaßen "ins Blaue" oder sogar "spekulativ" die für ihn günstigste Leistung zugrunde, um so ein entsprechend attraktives Angebot abzugeben, ist er nicht im Sinne eines enttäuschten Vertrauens schutzwürdig und nach dem Grundsatz von Treu und Glauben gehindert, Zusatzforderungen zu stellen (OLG Celle, IBR 2017, 300).*)
5. Im Falle einer fehlerhaften Ausschreibung ist auch ein treuwidriges Verhalten des Auftraggebers in Betracht zu ziehen (hier verneint).*)
6. Das Berufungsgericht ist im Falle der Aufhebung und Zurückverweisung durch das Revisionsgericht an dessen Rechtsansicht nur insoweit gebunden, als sie der Aufhebung zugrunde liegt. Das Berufungsgericht ist auch an seine früheren Rechtsansichten nicht gebunden. Im Falle der Aufhebung und Zurückverweisung wegen eines Gehörsverstoßes im Zusammenhang mit Behauptungen einer Partei zu den einer Baubeschreibung zugrundeliegenden tatsächlichen Verhältnissen (hier: Abweichung der tatsächlichen von den ausgeschriebenen Bodenverhältnissen) ist das Berufungsgericht daher nicht gehindert, eine von seiner früheren Auffassung abweichende Auslegung der Baubeschreibung vorzunehmen, das Leistungsverzeichnis als erkennbar fehlerhaft zu bewerten und anzunehmen, dass der Auftragnehmer deshalb nach dem Grundsatz von Treu und Glauben gehindert ist, Zusatzforderungen zu stellen.*)
VolltextVPRRS 2019, 0347
OLG München, Beschluss vom 30.10.2019 - Verg 22/19
1. Für einen erfolgreichen Antrag auf Verlängerung der aufschiebenden Wirkung der sofortigen Beschwerde gem. § 173 Abs. 1 Satz 3 GWB muss dem Antragsteller ein Rechtsschutzbedürfnis zukommen.
2. Ein Rechtsschutzbedürfnis setzt voraus, dass eine Zuschlagsentscheidung unmittelbar droht. Dies ist in der Regel erst dann der Fall, wenn die Vergabestelle eine Information nach § 134 GWB versandt hat.
3. Falls eine solche Information im laufenden Verfahren ergeht, so kann der Bieter auch dann noch den Antrag auf Verlängerung der aufschiebenden Wirkung stellen, wenn die Zwei-Wochen-Frist des § 173 Abs. 1 Satz 2 GWB abgelaufen ist.
VolltextVPRRS 2019, 0355
VK Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 13.06.2019 - VK 1-4/19
1. Bei § 135 Abs. 2 GWB handelt es sich um keine den § 160 Abs. 3 GWB verdrängende Sonderregelung. Die Fristen nach § 135 Abs. 2 GWB und § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB sind im Falle einer unvollständigen Vorabinformation nebeneinander anwendbar.*)
2. Wer sich bewusst vor einer sich aufdrängenden, sozusagen ins Auge springenden Vergaberechtswidrigkeit verschließt, muss sich eine positive Kenntnis i.S.d. § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB zurechnen lassen.*)
3. Bei einer nicht rechtzeitigen Rüge der Verletzung der Vorabinformationspflicht kann sich die Rügepräklusion auch auf die übrigen materiell-rechtlichen Vergabeverstöße erstrecken.*)
VolltextVPRRS 2019, 0342
VK Lüneburg, Beschluss vom 10.07.2019 - VgK-22/2019
1. Stellt der öffentliche Auftraggeber vor Zuschlagserteilung einen erheblichen Fehler in den Vergabeunterlagen fest, ist er grundsätzlich zu einer Fehlerkorrektur berechtigt. Eine bereits erfolgte Submission schließt eine solche Fehlerkorrektur nicht aus.
2. Eine Fehlerkorrektur richtet sich nach den rechtlichen Rahmenbedingungen für eine (Teil-)Aufhebung. Voraussetzung ist somit, dass der öffentliche Auftraggeber für seine (Teil-)Aufhebungsentscheidung einen sachlichen Grund hat, die Diskriminierung einzelner Bieter ausgeschlossen ist und seine Entscheidung nicht willkürlich oder nur zum Schein erfolgt.
3. Wie und in welchem Umfang ein öffentlicher Auftraggeber einen erkannten Fehler in seiner Ausschreibung behebt, unterliegt seiner Gestaltungsfreiheit, die an die vergaberechtlichen Gebote der Transparenz, Nichtdiskriminierung und Gleichbehandlung gebunden ist.
VolltextVPRRS 2019, 0354
VK Berlin, Beschluss vom 20.09.2019 - VK B 2-26/19
1. Die Vergabekammer stellt auf Antrag eines Beteiligten eine Rechtsverletzung fest, wenn sich das Nachprüfungsverfahren durch Aufhebung erledigt hat. Voraussetzung für einen Fortsetzungsfeststellungsantrag ist, dass die Erledigung nach Beginn des Nachprüfungsverfahrens eingetreten ist.
2. Tritt die Erledigung vor Beginn des Nachprüfungsverfahrens ein, steht ein Fortsetzungsfeststellungsantrag vor den Vergabenachprüfungsinstanzen nicht zur Verfügung. Der betroffene Bieter kann seine Rechte allenfalls im Rahmen eines Schadensersatzanspruchs vor den Zivilgerichten geltend machen.
VolltextVPRRS 2019, 0337
VK Lüneburg, Beschluss vom 27.09.2019 - VgK-34/2019
1. Ein Energieversorgungsunternehmen in der Rechtsform einer GmbH nach deutschem Recht, an der ein ausländischer EU-Staat über eine Holding beteiligt ist und das zu dem besonderen Zweck gegründet wurde, im Allgemeininteresse liegende Aufgaben nichtgewerblicher Art zu erfüllen, ist ein öffentlicher Auftraggeber.
2. Die Rügefrist beginnt mit der positiven Kenntnis des Bieters von einem Vergaberechtsverstoß des Auftraggebers und endet mit Ablauf von zehn Kalendertagen. Es ist unschädlich, wenn der Bieter erst am zehnten Tag der Frist Rüge erhoben und nur wenige Stunden später einen Nachprüfungsantrag gestellt hat.
3. Eine Pflichtverletzung des Auftraggebers in Bezug auf die Informationspflicht wird geheilt, wenn er die Gründe für seine Entscheidung im Nachprüfungsverfahren nachschiebt.
VolltextVPRRS 2019, 0353
VK Südbayern, Beschluss vom 14.10.2019 - Z3-3-3194-1-15-05/19
1. Treten technische Schwierigkeiten bei der Angebotsabgabe aufgrund der verwendeten elektronischen Mittel auf, so sind die Rechtsfolgen danach zu beurteilen, wessen Sphäre sie zuzuordnen sind. Schwierigkeiten auf Auftraggeberseite dürfen nicht zu Lasten der Anbieterseite gehen. Demgegenüber gehen vom Anbieter selbst zu verantwortende Schwierigkeiten zu seinen Lasten (OLG Düsseldorf, IBR 2019, 449 = VPR 2019, 134).*)
2. Die Vergabestelle trifft grundsätzlich die Feststellungslast, dass sie nicht gegen § 11 Abs. 1 oder Abs. 3 VgV verstoßen hat.*)
3. Kann im Rahmen der von der Vergabekammer vorzunehmenden Sachverhaltsermittlung und Beweiserhebung die Ursache für eine fehlerhafte Angebotsabgabe nicht geklärt werden, geht dies nicht automatisch zu Lasten der Vergabestelle, wenn dieser kein Verstoß gegen § 11 Abs. 1 oder Abs. 3 VgV nachgewiesen werden kann und eine Ursache in der Sphäre des Bieters wahrscheinlich ist.*)
4. Im Hinblick auf den auch im Vergaberecht geltenden Grundsatz der Verhältnismäßigkeit § 97 Abs. 1 Satz 2 GWB kann ein Unterlassen einer Information nach § 11 Abs. 3 VgV nur dann zu Lasten eines Auftraggebers gehen, wenn er den entsprechenden Umstand gekannt oder pflichtwidrig nicht gekannt hat.*)
VolltextVPRRS 2019, 0333
VK Berlin, Beschluss vom 13.09.2019 - VK B 1-13/19
1. Ist ein Vertrag als Rahmenvereinbarung ausgestaltet, bietet er dem öffentlichen Auftraggeber die Möglichkeit, Bedarfe flexibel zu decken und Leistungsänderungen bzw. insbesondere -erweiterungen einseitig abzurufen.
2. Der Auftraggeber hat bei der Ausübung seines Leistungsbestimmungsrechts das Vergaberecht zu beachten. Danach erfordern wesentliche Änderungen eines öffentlichen Auftrags während der Vertragslaufzeit ein neues Vergabeverfahren.
3. Bleibt unklar, welche Leistungsänderungen und -erweiterungen unter § 132 GWB fallen und welche von der nicht als solche gekennzeichneten Rahmenvereinbarung abgedeckt sein sollen, ist das Verfahren intransparent. Für einen Bieter muss eindeutig erkennbar sein, wann und in welchem Umfang eine einseitige Leistungsänderung für den Auftraggeber möglich sein und wann eine separate Beschaffung im Wege eines neuen Vergabeverfahrens erfolgen wird.
4. Das bloße Inaussichtstellen eines Vertrags über einen noch nicht bestehenden Bedarf sowie eine doppelt zu vergebende Rahmenvereinbarung verstößt gegen die Grundsätze der Diskriminierungsfreiheit, der Transparenz und des Gebots des fairen Wettbewerbs sowie gegen das Missbrauchsverbot nach § 21 Abs. 1 Satz 3 VgV.
5. Die Begrenzung der Laufzeit einer Rahmenvereinbarung dient nicht nur dem Schutz des Wettbewerbs, sondern zugleich auch der Verringerung von Kalkulationsrisiken. Eine Bindungsfrist von 16 Jahren ist unzumutbar.
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